Original Fluchtwagen: No Shine, but Show!

Mercedes-Benz 170 V W136

Original Fluchtwagen: No Shine, but Show!

Januar 1945: Es ist klirrend kalt und die Ost-Front rückt innerhalb der Reichsgrenzen nach Westen gegen Berlin vor. Der Feldwebel Josef Oberschewen und sein Gefreiter J. Heidrich sind auf dem Rückzug, als ein schwerer Angriff ihren Konvoi auseinander sprengt. Die beiden beschließen daraufhin an diese Stelle Schluss zu machen und schlagen sich fortan am Steuer eines Mercedes-Benz 170 V mit Fahrten durch die Dunkelheit der Nacht von Ostpreußen bis zum Bauernhof des Feldwebels in der Nähe von Garching durch. Während der Gefreite schließlich in Zivil von dannen zieht, versteckt der Feldwebel den Mercedes in einem Halbkeller in der Gerätescheune.

Der Krieg endet und Anfang der 1950er Jahre wird der Mercedes noch einmal aus der Scheune geholt. Doch der Versuch den Wagen zu „zivilisieren“ misslingt, zu heftig sind die Kampfspuren. So wandert der 170er zurück in den Gerätestall und wird dort unter einer alten Segeltuchplane stehen gelassen.

Von Lindau ins Ruhrgebiet!

2009: Der alte Feldwebel hat seinen Söhnen den Hof schon lange überlassen. Beim Umbau des Geräteschuppens kommt der Mercedes 170 V wieder zum Vorschein. Ein kurzes Inserat im Kleinanzeigenteil der örtlichen Tageszeitung sorgt für einen Anruf aus dem Ruhrgebiet. Ein Sammlerkollege hatte den entscheidenden Hinweis gegeben und nach einem kurzen Gespräch war man sich einig. So rollte kurz darauf ein Anhängergespann aus dem Ruhrgebiet in Richtung Lindau.

H-Zulassung & neuer TÜV!

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich der Zustand des Fahrzeugs mehr als Ernüchternd. Durch einen Artillerieangriff war die Karosserie stark verzogen, und Rost sowie Standschäden hatten dem 170 V auch mächtig zugesetzt. Einen echten Sammler schreckt dies aber nicht ab und so wurden alleine in die Restaurierung des Fahrzeugbodens über neunzig Arbeitsstunden investiert. Während die Optik komplett im Originalzustand geblieben ist, wurde der original Ottomotor gegen eine Dieselvariante getauscht, denn sein Besitzer fährt jedes Jahr tausende von Kilometern zu diversen Treffen in Europa auf eigener Achse. Und so besitzt der 170 V auch eine gültige H-Zulassung und schaffte sogar den TÜV ohne Mängel. Beim Anblick des heutigen technischen wie optischen Zustands fühlt man sich in die Wirren der letzten Kriegsjahre zurückversetzt. Ganz von allein, völlig automatisch, geht das Kopfkino an und man sitzt selbst hinter dem Lenkrad und fährt durch in Schutt und Asche liegende Dörfer und Städte.

 

Kurze Modellhistorie zum 170 V:

Der 170 V, intern als W136 geführt, wurde auf der Internationalen Automobilausstellung in Berlin im Jahre 1936 zusammen mit den Mercedes-Benz-Fahrzeugen 260 D und 170 H der Öffentlichkeit vorgestellt.

Angetrieben wurde der 170 V von einem Vierzylinder Ottomotor des Typs M136 mit einem Hubraum von 1,7 Litern. Gegenüber dem Sechszylinder-Motor der Vorgängerbaureihe W15 erwies sich die neue Antriebseinheit nicht nur leistungsstärker, technisch sowie stilistisch moderner, sondern auch billiger. Ingesamt wurden vom 170 V von 1936 bis 1942 mehr als 70.000 Exemplare in verschiedenen Karosserievarianten produziert.

Das „V“ (wie „Vorn) steht übrigens zur Unterscheidung vom parallel vorgestellten 170 H, bei dem der praktisch identische Motor im Heck eingebaut war.

Technical Facts

Mercedes-Benz 170 V

Baujahr: 1940

Motor: Vierzylinder-Ottomotor

Hubraum: 1700 ccm

Leistung: 38 PS bei 3.400 U/min

Verdichtung: 6,5:1

Max. Drehmoment: 100 Nm bei 1.800 U/min

Verbrauch: unter 10 Liter

Text & Fotos: Olivier Fourcade