1979er VW Golf 1: Der meisterhafte GTI

1979er VW Golf I GTI von Scott Livingstone

1979er VW Golf I GTI von Scott Livingstone

Unterschätzt. Dieses Wort bezeichnet den 1979er GTI von Scott Livingstone wohl am besten. Der marsrote Golf hat keine verrückte Optik, bekam keinen exotischen Motortausch oder ähnliches. So kann es sogar passieren, dass der Wagen auf Shows und Treffen übersehen wird. Aber ein genauerer Blick offenbart seine unglaubliche Qualität, die ihn gar dazu prädestiniert, in einem Magazin wie WOB Klassik vorgestellt zu werden. Bei der grundlegenden Restaurierung kamen unzählige New Old Stock (NOS)-Komponenten zum Einsatz. Da Scott aber zugleich denkt, dass Autos im Werkszustand auch langweilig sein können, setzte er ferner mit einigen optischen wie technischen Verfeinerungen gekonnt Akzente.

Statt auffälliger und fragwürdiger Maßnahmen – wie beispielsweise aufgesetzter Glasfaser-Bodykits – fallen diese Veredlungen wirklich sehr geschmackvoll aus und umfassen ausschließlich zeitgenössische Upgrades von beispielsweise Neuspeed oder Oettinger.

Wie der Vater …

Während der Kanadier aus Vancouver mittlerweile als Musiker und Künstler unterwegs ist, wuchs Scott als wahrer Petrolhead auf, schließlich hatte sein Vater eine Karosseriebau-Werkstatt. 1995 begab er sich auf die Suche nach einem GTI, den er als Daily Driver nutzen wollte. Nach einiger Zeit fand er einen interessanten Rabbit-GTI, ein original kanadisches Modell. Das schwarze Fahrzeug war für einen Umbau teilweise auseinandergenommen, dann aber hatte der Besitzer das Interesse an dem Projekt verloren, wie Scott sagt. So konnte er den Wagen günstig für 500 Dollar erwerben. Kurz danach begann eine komplette Entkernung bis auf die Rohkarosse die nach einigen Verschönerungen eine Neulackierung in der GTI-typischen Farbe Marsrot bekam. Ferner kam statt des ursprünglichen 1,6-Liter-Aggregats ein modernerer 1,8-Liter-Achtventiler von 1993 unter die Haube. So fuhr Scott den Wagen für etwa zehn Jahre tatsächlich alltäglich.

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Weitere Umbauten mit neuen Helfern

Ab 2005 stand der Wagen dann zunächst einige Jahre relativ unbeachtet herum, während deren allerdings stetig Instandhaltungsarbeiten erfolgten. 2015 jedoch meinte es das Schicksal dann aber endgültig gut mit dem GTI: Scott kaufte einen 1966er T1 bei Matt Sheepmaker von Old Skool Autobody. Der herausragende Zustand des Busses beeindruckte den Kanadier so sehr, dass er beschloss, auch seinen GTI von Matt lackieren zu lassen – natürlich wieder in Marsrot. Als dies schließlich erledigt war, machte sich Scott an die weitere Fertigstellung des Neuaufbaus, für den er über die Jahre hinweg bereits zahlreiche Teile zusammengetragen hatte: Eine mühsame Aufgabe, denn schließlich wollte er nur die seltensten aller seltenen Parts und nur die besten NOS- oder neue OEM-Komponenten haben. Unterschiedlichste internationale Webseiten zog der Kanadier zu Rate: „Manchmal war es für mich regelrecht wie eine Geographiestunde“, scherzt Scott über seine Suche. Die Pakete kamen neben verschiedenen US- und kanadischen Bundesstaaten aus aller Herren Länder: Australien, Deutschland, Niederlande, Italien, Belgien, Großbritannien, Österreich, aber auch unerwartetere Länder wie Polen, Lettland, Griechenland und weiteren Balkanländern.

Im Stil des europäischen GTI

„Ich wollte den Wagen im Look der originalen europäischen GTIs aus den 1970er Jahren aufbauen“, erklärt Scott. Das bedeutete unter anderem: kleine lackierte Stoßstangen, europäisches Armaturenbrett und Co. Ein Highlight sind auch die kleinen Heckleuchten ohne weiße Rückfahrlichter, wie sie die Gölfe der niedrigeren Ausstattungsvarianten besaßen, oftmals auch als Postgolf-Leuchten bezeichnet. Hinzu kommen die eingangs angedeuteten Verfeinerungen wie die in Großbritannien gekauften, japanischen Bridgestone Super Rap-Leichtmetallfelgen, die in 6×14 Zoll gerade einmal etwa 4,5 Kilogramm wiegen; bezogen mit 185/60er Dunlop-Reifen. Die Aufgabe, den Wagen schließlich wieder zusammenzubauen fiel wiederum Lanny zu. Er installierte dabei auch ST suspensions-Gewindefederbeine, die einen guten Kompromiss aus Handling und Optik versprechen. Diverse eingesetzte NOS-Teile stammen ursprünglich vom 16V-Scirocco, etwa die Scheibenbremsen vorne wie hinten. Das Fünfgang-Handschaltgetriebe blieb hingegen original erhalten, wurde jedoch komplett überholt.

Motor in Schuss gebracht

Im Bug arbeitet unterdessen der in den 90ern verbaute 1,8-Liter-Motor. Dessen Zustand ist immer noch hervorragend, schließlich sind diverse Komponenten über die Zeit mindestens aufbereitet oder gar gegen frische OEM- bzw. NOS-Teile ausgetauscht. So kamen unter anderem ein Zündverteiler, Kraftstoffleitungen und eine Neuspeed-Drosselklappe und ein Oettinger-Ventildeckel neu an Bord. Die Verbrennungsüberreste entweichen durch Krümmer und eine Abgasanlage von Techtonics, die in einem Borla-Schalldämpfer mündet. Zu guter Letzt wandte sich Lanny natürlich auch dem Innenraum zu: Während die Teppiche und Türverkleidungen original verblieben, wurden die Bezüge der Sitze und des Dachhimmels mit OEM-Stoffen erneuert. Neben dem bereits angesprochenen Hartplastik-Armaturenbrett sorgt auch der 220-km/h-GTI-Tacho für den angestrebte EU-Look. Abrundend gibt es weitere NOS-Teile wie den Golfball-Schaltknauf und die Verkabelung des werksseitigen Schiebedaches.

Summa summarum lässt sich festhalten: Die Instandsetzung des GTI in seinem aktuellen Zustand war ein wirklich lange Reise, aber Scott gab während der letzten gut 20 Jahre niemals auf – und kann nun stolz sein, einen der schönsten Golf 1 in Kanada sein Eigen zu nennen.

Technische Daten

Fahrzeugtyp: VW Golf 1 GTI

Baujahr: 1979

Karosserie: komplett bis auf die Rohkarosse ausgeräumt und neu in VW L31B Marsrot lackiert, alle Dichtungen durch OEM/NOS-Teile, kleine Stoßstangen vom EU-Modell, konkave NOS-Cibié-Scheinwerfer, NOS-„Postgolf“-Rückleuchten (ohne weiße Rückfahrlichter)

Motor: 1,8-Liter-8V-Ottomotor von 1993, originale Innereien, NOS-Neuspeed-Drosselklappe, NOS-Zündverteiler, NOS-Kraftstoffverteiler, NOS-Kraftstoffleitungen, Oettinger-Ventildeckel, 1,625-Zoll-Techtonics-Edelstahl-Krümmer, 2,25-Zoll-Techtonics-Edelstahl-Abgasanlage, Edelstahl-Borla-Endschalldämpfer, alle Teile poliert und lackiert/kadmiert

Kraftübertragung: komplett neu aufgebautes 020-Fünfgang-HAndschaltgetriebe mit lackierten/kadmierten Details

Fahrwerk: einstellbare ST suspensions-Gewindefederbeine

Rad/Reifen: JDM-Bridgestone Super Rap-Aluminiumfelgen in 6×14 Zoll mit Dunlop Direzza ZII-Bereifung in 185/60R14

Bremsen: Scheibenbremsen rundum mit VA 256-mm- und HA 226-mm-Scheiben, 9-Zoll-Bremskraftverstärker, 22-mm-Hauptbremszylinder, (alle Upgrades mit NOS-Komponenten für Scirocco II 16V

Innenraum: originale Teppiche und Türverkleidungen, neue OEM-Sitzbezüge, neuer OEM-Dachhimmel, Hartplastik-Armaturenbrett in europäischer Spezifikation, originaler 220-km/h-GTI-Tacho in EU-Spezifikation, NOS-Golfball-Schaltknauf, originales Schiebedach mit NOS-Verkabelung, NOS-Windabweiser, NOS-Sicherungsbox

Sonstiges: Chassis komplett lackiert, pulverbeschichtet oder kadmiert

Dank an: Danke vielmals an Lanny Hussey und all seine „wassergekühlten Kontakte und Verbindungen, Matt Sheepmaker von Old Skool Autobody (Summerland, British Columbia) für die erstklassigen Karosseriearbeiten und die Lackierung, David Gallagher von Phoenix Upolstery (North Vancouver, BC), Barry Guscott, meinen Vater David dafür, dass er mir endlos mit all meinen Autos geholfen hat und sie in seiner Werkstatt, Garage und dem Hof stehen lässt, meiner unglaublichen Frau Shannon und meinen zwei Kindern Ivy und Honor, die immer voller Enthusiasmus in meinen verschiedenen lauten, über den Boden schleifenden Fahrzeugen mitfahren, neunen verständnisvollen Boss Rodney, der es mir erlaubt, Arbeitszeit zu versäumen, um Teile abzuholen und an meinen Autos zu schrauben