Joey Logano: Der fast gescheiterte Champion

NASCAR Champion 2018 Joey Loganoi

Joey Logano: Der fast gescheiterte Champion

Wie ein Stehaufmännchen: Joey Logano ist der neue NASCAR-Champion, dabei schien sein Schicksal fast schon besiegelt zu sein

Es war das Charlotte-Wochenende im Mai 2008. Ein verlängertes Heimspiel für alle NASCAR-Teams. Die vielen Aktivitäten rund um das Coca-Cola 600 begannen bereits am Donnerstag. Irgendwann in diesen Tagen waren zwei Pressekonferenzen direkt hintereinander angesagt: Ein gewisser Brad Keselowski wurde im damaligen Nationwide-Team von Dale Earnhardt Jr. vorgestellt, direkt danach ein gewisser Joey Logano in der damaligen Nationwide-Mannschaft von Joe Gibbs.

Zwei No-Names, zwei junge Himmelsstürmer, die seit einigen Wochen etwas gemeinsames haben: Sie sind NASCAR-Champions. Keselowski 2012 und nun auch Logano 2018. Noch ein paar Gemeinsamkeiten? Beide waren bei ihrem Triumph 28 Jahre alt, beide fahren für Roger Penske und beide waren beileibe nicht die Favoriten.

Wieder einmal hatte der „Captain“, wie Penske in Motorsport-USA so gerne genannt wird, einen guten Riecher. Im Fall Logano sogar einen sehr guten, denn der aktuelle NASCAR-Meister war in seiner frühen Cup-Karriere eigentlich schon einmal weg vom Fenster.

„The Real Deal“ mit „Sliced Bread“

Aber der Reihe nach: Eigentlich stammt die Familie Logano aus Middletown, Connecticut, etwa auf halbem Weg zwischen New York und Boston. Papa Thomas besitzt italienische Wurzeln, Klein-Joey war und ist ein bekennender Fan der New England Patriots. Später zog die Familie in den Großraum Atlanta und der motorsportbegeisterte Joey fuhr in seinen jungen Jahren von Sieg zu Sieg.

Das blieb nicht unbeobachtet. Als Logano 15 Jahre alt war, bezeichnete ihn Mark Martin als „the real deal“, frei übersetzt: das einzig Wahre, ein Juwel. „Ich bin absolut davon überzeugt, dass er einer der größten Piloten werden kann, die jemals in der NASCAR gefahren sind“, so Mark Martin. Der zweimalige Busch-Champion Randy Lajoie steuerte seinen Spitznamen bei: „the greatest thing since sliced bread“. Also die „beste Erfindung seit geschnitten Brot“, ein US-amerikanischer Ausdruck für eine besonders tolle Innovation.

Nur allzuoft in seiner Karriere war Logano der jüngste Sieger. So auch in der Xfinity-Serie (damals noch Nationwide). Am 24. Mai 2008 feierte er in Charlotte seinen 18. Geburtstag, am 14. Juni 2008 siegte er in Kentucky. Es war erst sein drittes Rennen in der zweiten NASCAR-Liga.

Alles ging verdammt schnell. Als Gibbs-Platzhirsch Tony Stewart im Sommer 2008 seinen Abschied verkündete, weil er sein eigenes Stewart/Haas-Team übernahm, war in der Gibbs-Mannschaft guter Rat teuer. Stewart war zu dieser Zeit Gibbs-intern die absolute Nummer eins, Denny Hamlin und Hendrick-Neuzugang Kyle Busch galten damals noch als sehr hoffnungsvolle Youngster. Ende August 2008 wurde dieses so junge Toyota-Topteam noch jünger, denn Logano bekam den Zuschlag für die Stewart-Startnummer 20.

Demut lernen bei Joe Gibbs

Ein 18-jähriges Kid sollte also Tony Stewart ersetzen. Ausgerechnet den zweifachen NASCAR-Champion, der genau wusste, was er von seinem Auto erwartete. Ein erfahrenes Topteam unter Crewchief Greg Zipadelli, die etwas ganz anderes gewohnt waren als einen 18-jährigen Naseweis.

Es kam, was kommen musste. Logano schlitterte von einer Krise in die nächste. In der Top-Liga der NASCAR, bei den Big-Boys, passierte ihm etwas, was er in seiner noch so jungen Karriere nie erlebt hatte. Er war ein Rookie, er war Frischfleisch, er wurde nicht ernst genommen und er bekam kein Bein auf die Reihe. Die Konsequenz: Sein Gibbs-Team verlor das Vertrauen in den Fahrer. Und umgekehrt.

„Ich lernte ganz schnell das Wort Demut kennen“, erinnert sich Logano. „Man hat mich quasi verdroschen, herumgeschubst. Besonders schnell war ich auch nicht und Respekt zeigte ich ebenfalls keinen.“ Die Folge: „Das hat mein Selbstvertrauen zerstört. Jeder Sport hat eine mentale Komponente und du musst zusehen, wie du aus so einem Loch wieder herauskommst.“

Vier Jahre lang, bis zum Saisonende 2012, ging dieses Spiel. Zwei magere Siege, darunter ein Glückstreffer bei einem Regenabbruch in Loudon, standen auf seiner Haben-Seite. Seine beste Gesamtplatzierung war ein durchwachsener 16. Rang.

„Ich habe von mir erwartet, dass ich da rausgehe und gewinne“, erinnert sich Logano. „Anstelle dessen haben sie mir meinen Hintern auf einer Servierplatte präsentiert. Es war eine sehr harte Zeit. Ich war völlig durch den Wind, denn ich wusste nicht, was ich besser machen sollte. Wenn du erst 18, 19 oder 20 Jahre alt bist, dann ist das für einen Teenager eine schwierige Zeit. Das Team, die Medien, meine gesamte Situation.“

Ende 2012 war Logano am Ende. Roush-Routinier Matt Kenseth übernham seine 20 und er stand im Prinzip vor dem Scherbenhaufen einer Cup-Karriere. Doch es kam alles ganz anders.

Penske gibt ihm seine Chance

A.J. Allmendinger war im Sommer 2012 nach einem positiven Dopingtest bei Roger Penske in Ungnade gefallen. Auf der Suche nach einem passenden Nachfolger für die Saison 2013 fiel auch der Name Logano.

„Bei Team Penske bekam er seine Chance“, erinnert sich sein Crewchief Todd Gordon. „Ich habe an ihn geglaubt und vor allem hat auch Roger selbst an ihn geglaubt. Da saß ein junger Mann vor uns, der in der zweiten Liga mehr Rennen gewonnen hatte als ein Kyle Busch. Der musste doch etwas draufhaben.“

In der Tat: Seine Erfolge in Liga zwei retteten Logano den sprichwörtlichen Hals. Zwischen 2009 und 2012 fuhr der Youngster 113 Xfinity-Rennen und gewann 17 Mal. Alleine in der Saison 2012 stand Logano neunmal in der Victory Lane. „Was er brauchte, war eine zweite Chance“, weiß Todd Gordon. Und er bekam sie.

Ab der Saison 2013 saß Logano in der gelb-roten Penske-Startnummer 22. Im August gewann er in Michigan und landete auf Gesamtplatz acht, deutlich vor seinem Teamkollegen Brad Keselowski. 2014 und 2015 holte er insgesamt elf Siege, unter anderem das Daytona 500. Aus dem einstigen verstoßenen Wunderknaben war ein Titelkandidat geworden.

Mit einigen Reibungspunkten, denn seine beinharte Fahrweise war mittlerweile berühmt und berüchtigt. Nachdem er Denny Hamlin in Fontana 2013 sehr unsanft in die Mauer schickte, wütete Tony Stewart: „Ich werde ihm den Hintern aufreißen.“ Eine weitere unvergessene Privatfehde entstand 2015 mit Matt Kenseth, den er in Kansas im Kampf um den Sieg umdrehte. Das Revanche-Manöver von Martinsville ging in die NASCAR-Geschichte ein.

„Ich fand zu dem zurück, was mich als Nachwuchspilot auszeichnete“, analysiert Logano. „Damals war ich sehr aggressiv unterwegs und habe eine Menge Rennen gewonnen.“

„The Big Three and me“

Es sind genau diese Ecken und Kanten, die Logano für viele zum Bösewicht machen. Aber es ist auch dieser unbedingte Wille zum Erfolg, der ihn auszeichnet. Und der 2018 nach zwei eher durchschnittlichen Jahren zum ganz großen Wurf führten.

Wieder war es Martinsville, das vielleicht das entscheidende Zeichen setzte. 2015 wurde er in Führung liegend von Matt Kenseth abgeschossen. Das zog ihm den Zahn im Titelkampf. 2018 setzte er in der letzten Kurve einen Bump gegen Martin Truex Jr. und gewann. Damit war das Homestead-Ticket gelöst.

„The Big Three and me“, die großen Drei und ich, dichtete Logano vor dem Finale. Auf dem Papier war er der Außenseiter im Kampf gegen einen Kevin Harvick, Kyle Busch oder eben Truex. Aber er wollte es unbedingt. Und sein Penske-Team ebenfalls.

Am Ende kam es genau zu dem Short-Run, den sein Penske-Ford benötigte. Die Art und Weise, wie er nach dem letzten Restart von Rang drei aus die Titel-Konkurrenz stehen lies, fügte seiner Aggressivität eine durchaus bemerkenswerte lässige Komponente hinzu. Diese galt auch für Verfolger Truex, der dem superschnellen Logano nicht mehr hinterherkam und daher eben kein vielleicht noch denkbares Payback-Manöver mehr setzen konnte.

So wurden diese letzten 15 Homestead-Runden zu einer Triumphfahrt. Einer, der eigentlich schon alles verloren hatte, fuhr nicht nur zu seinem 21. Cup-Erfolg. Er fuhr zum größten Titel seines erst 28 Jahre andauernenden Lebens. Ein vergleichsweise junger NASCAR-Champion.

Und zu jeder Menge Emotion. Auch mit einem Rückblick auf ganz harte Zeiten. „Wenn man die Chance bekommt, Fehler zu machen, dann ist das eines der wichtigsten Güter einer Karriere“, sinniert Logano. „Und ich habe sehr viele Fehler gemacht. Aber genau das hat mich auch zu dem geformt, was ich heute bin. Und ohne diese Fehler würde ich heute nicht hier sitzen.“

„Der liebe Gott“, so Logano, „lehrt dich viele Lektionen. Manchmal auch auf die harte Tour. Aber ich möchte keine dieser Lektionen missen. Auch wenn wir diesen Titel nicht gewonnen hätten.“ Muss er auch nicht, denn der Penske-Pilot ist der neue NASCAR-Champion 2018. Das kann ihm nun keiner mehr wegnehmen. Wer hätte dies anno Mai 2008 in Charlotte gedacht?

Text: Pete Fink, Fotos: NASCAR Media