Hommage an die „Rote Sau“
Eine der absoluten Königsdisziplinen im Automobiltuning ist definitiv der Aufbau von Restomods. Ein solches Auto historischer Anmutung in Kombination mit (halbwegs) moderner Technik auf die Räder zu stellen, erfordert nicht nur Kreativität und Stilsicherheit sondern auch ein überaus hohes Maß an Fahrzeugbau-Kompetenz und handwerklichem Geschick. Und wenn dann auch noch ein solch legendäres Auto wie der Mercedes-Benz 300 SEL 6.8 AMG-Rennwagen „Rote Sau“ die historische Vorlage liefert, dann liegt die Latte umso höher.
So geschehen beim hier abgebildeten W108-Restomod, den Martin Szombierski als Polen gemeinsam mit seinem Vater komplett neu aufbaute und jüngst beim hochkarätigen Ultrace-Tuning-Festival in Breslau/Wroclaw präsentierte.
Die Basis bildete eine aus dem Baujahr 1969 stammende W108-Karosserie, welche der gelernte Kfz-Elektriker laut seiner Fotodokumentation vor vier Jahren in ziemlich mitleiderregendem Zustand erwarb. Welcher Motor hier einst drin war? Ist uns nicht genau bekannt. Spielt aber auch eigentlich überhaupt keine Rolle mehr, denn von der ursprünglichenW108-Technik ist ohnehin praktisch nichts mehr übriggeblieben. Doch dazu später mehr…
Dass die legendäre „Rote Sau“ das optische Vorbild für den 108er-Restomod lieferte, steht angesichts dessen Auftritts völlig außer Frage. Zwar handelt es sich anders als beim Original, welches bekanntlich auf der Langversion SEL basierte, hier um die „kurze“ SE-Variante. Dafür aber fehlen wie beim Rennwagen, der 1971 einen sensationellen Klassensieg beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Franchorchamps holte und auf Rang zwei im Gesamtklassement fuhr, die Stoßstangen vorne und hinten. Auch die beiden Paare riesiger Hella-Zusatzscheinwerfer kennt man von der „Roten Sau“. Noch weitaus mächtiger als beim Rennwagen-Vorbild fallen bei der Restomod-Hommage indes die traditionell im Blech ausgeführten Kotflügelverbreiterungen aus: Die ausgestellten Radläufe lassen den W108 um satte 20 Zentimeter in die Breite wachsen. Auch im Finish indes übertrifft der in pastelligem Chinablau lackierte Restomod den Rennwagen deutlich: Im Zuge der Karosserie-Restaurierung wurde diese rundum sauber gecleant. Der in den 60ern übliche Chrom wurde entweder erneuert oder nach moderner Stilistik in Glanzschwarz lackiert.
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In Schwarz glänzen auch die Vielspeichen-Sterne der dreiteiligen Custom-Felgen. Sie stammen von ursprünglich 17-zölligen Designo-Rädern und wurden mit auf Hochglanz polierten Edelstahl-Stufenbetten verheiratet, sodass sich nun 19-Zoll-Endformate ergeben. Als „Eheringe“ fungieren dabei gewissermaßen die vergoldeten Schrauben, mit welchen die Mehrteiler zusammengefügt wurden. Bezogen sind die Custom-Wheels mit Hankook Ventus V12 Evo2-Bereifung.
Ebenfalls eine Sonderanfertigung für den W108 ist das Luftfahrwerk, welches Martin auf Basis von D2-Gewindefederbeinen konstruierte. Auf und ab geht es – zum Oldschool-Charakter des Autos passend – nicht elektronisch, sondern mit manuellen Kippschaltern.
Im Bug des W108 steckt ein V8-Motor. Das ist bis dahin nicht weiter ungewöhnlich, waren Triebwerke dieser Zylinderanordnung doch in den 1970er Jahren auch serienmäßig in der großen Limousine üblich. Hebt Martin allerdings lange Motorhaube an, fällt nicht nur Mercedes-Kennern erst einmal die Kinnlade herunter: Die Motorabdeckung nämlich weist auf den 6,2-Liter-AMG-V8 (M 156) hin. Jedoch: Sie ist ein kleiner Etikettenschwindel. Denn tatsächlich stammen der 5,0-Liter-M113-V8 samt angeflanschter Fünfgang-Automatik sowie auch die gekürzte und weitreichend modifizierte Bodengruppe samt Bremsanlage von einem 2003er E 500 der Baureihe W211! Sogar ABS, Servolenkung und OBD II-Schnittstelle sind an Bord.
Auch im Innenraum führte die harmonische Vereinigung zweier unterschiedlicher Benz-Epochen fort: Das minimalistische, deswegen aber nicht karges Interieur zeigt sowohl Elemente der 1960er- als auch der 2000er-Jahre. So mutet der Instrumententräger zunächst historisch an, darin aber stecken das teils digitale Kombiinstrument samt Drehzahlmesser vom W211 – dazwischen eine analoge VDO/Kienzle-Uhr aus vergangenen Zeiten. Die Luftausströmer stammen aus einem E-Klasse-Coupé der Reihe C238. Vor dem Automatik-Wählhebel mit Kugelkopf auf der ansonsten völlig glatten Mittelkonsole: die Viair-Manometer des Luftfahrwerks. Die kleinen Sportschalensitze stammen ebenso aus einem Porsche 911-F-Modell wie das dank Momo Prototipo-Sportlenkrad. Beide Porsche-Importe wurden ebenso mit Leder und Alcantara in Schwarz samt roter Nähte bezogen wie auch Armaturenbrett und Mittelkonsole, die Rücksitzbank, Tür- und Seitenverkleidungen etc.
Wenn man dieses Auto in ein Wort fassen müsste, dann könnte dieses beispielsweise „Wahnsinn“ sein. Mit diesem Restomod zieht Martin ganz zweifellos und praktisch aus dem Stand in die Hall of Fame des Custom-Tunings ein!
Technical Facts
Mercedes-Benz W108
Baujahr: 1969 (Karosserie), 2003 (Technik), 2020-2024 (Neuaufbau)
Karosserie: keine Stoßstangen, Karosserie rundum gecleant, Kotflügelverbreiterungen im Blech, zwei Paare Hella-Zusatzscheinwerfer, Lackierung in China Blue, Chromteile erneuert oder schwarz lackiert
Motor: 5,0-Liter-V8 (M113) vom W211 E 500, 306 PS / 460 Nm
Rad/Reifen: dreiteilige Custom-Felgen auf Basis von 17-zölligen Mercedes Designo-Felgen, mit Stufenbetten umgeschüsselt auf 19 Zoll, Sterne Glanzschwarz lackiert, goldene Schrauben, Hankook Ventus V12 evo2-Bereifung
Fahrwerk: Custom-Luftfahrwerk auf Basis von D2-Gewindefederbeinen, manuelle Steuerung
Innenraum: komplett neues Leder/Alcantara-Interieur mit roten Nähten (Sportschalensitze vom Porsche 911-F-Modell, Rücksitzbank, Türverkleidungen, Armaturenbrett etc.), Momo Prototipo-Sportlenkrad vom Porsche 911-F-Modell mit NRG-Snap Off-Nabe, Instrumente-Kombination von W211 und W108, Luftausströmer vom E-Klasse Coupé C238
Sonstiges: ABS, Servolenkung, OBD II-Schnittstelle