216 Turbo-PS im Käfer

VW 1303 von Turboboxer.de

Während heute – Stichwort: Downsizing – unter den Hauben der allermeisten Neuwagen Turbomotoren stecken, ist die Aufladung mittels Turbolader in der luftgekühlten VW-Szene weitgehend unbekannt. Dies verwundert auf den ersten Blick nicht, denn schließlich gehören Turbolader doch einfach nicht in Käfer, Bulli und Co., oder?! Dass sich luftgekühlte Boxermotoren und Turbolader bestens vertragen können, unterstrich schließlich Porsche höchstselbst – mit dem 1975 eingeführten 911 Turbo, welcher in der Folge über Jahrzehnte hinweg schlichtweg als Synonym für Turbo-Power stand und nicht selten einfach „der Turbo“ genannt wurde. Warum sollte das abgasgetriebene Aufladungsprinzip also nicht auch in vierzylindrigen Luftboxern funktionieren?

So dachte wohl auch Armin Klein aus Neu-Ulm, als er 1997 auf die Idee kam, einen Käfermotor mit Turboaufladung zu bauen – inspiriert von amerikanischen Vorbildern, wie sie jenseits des großen Teichs gerne bei Drag Racing-Rennen eingesetzt wurden. Nachdem sich der Typ 1-Motor für seine Anforderungen als nicht standfest genug erwiesen hatte, spezialisierte sich ?Armin Klein unter dem Label Turboboxer.de schließlich auf die Aufladung der robusteren Typ 4-Aggregate. Ein solches rumort auch im Heck des hier abgebildeten Käfers, welchen Armin Klein im Auftrag eines Kunden aus dem Ruhrgebiet aufbaute.

Sonniges Gemüt

Dabei sieht man dem 1973er 1303 seinen „aufgeblasenen“ Charakter zunächst gar nicht an: Sonnig, freundlich und leicht breitschultrig steht das in Texasgelb lackierte Auto da. Während Käfer-Kennern womöglich noch die breiteren Kerscher-Kunststoff-Kotflügel ins Auge fallen, können selbst diese dem Laien auch schnell entgehen. Auch die breiten ATS-Felgen in 7×15 und 9×15 Zoll mit 205/50er und 225/50er Bereifung haben mit dem nötigen Hintergrundwissen durchaus eine technische Berechtigung, sind aber noch kein hinreichender Beleg, dass der VW sie auch wirklich benötigt.

Aktiv angeströmter Ladeluftkühler

Anders sieht das aus, nachdem man die Motorhaube geöffnet hat: Dann nämlich fällt der Blick sofort auf den großen „Klein Turbo“-Ladeluftkühler, dessen Netz von unten durch zwei E-Lüfter angeströmt wird. Letztere sitzen damit direkt rechts und links oberhalb des Porsche-Style-Gebläses mit zentraler Anordnung ohne Verteiler. In den Tiefen des Maschinenraums gut versteckt hingegen ist der sonderangefertigte Turbonetics-Turbolader, welcher die mittels einer 71-mm-Kurbelwelle und gekühlter 94er Wiseco-Turbo-Kolben auf insgesamt 2,0 Liter vergrößerten Brennkammern gehörig unter Druck setzt. Eine Gemischaufbereitung per Vergaser entfällt, dafür ist eine frei programmierbare DTA-Einspritzanlage mit Kennfeldzündung an Bord, welche im Zusammenspiel mit einer 50-mm-Einzeldrosselanlage von Jenvey und 850cc-Einspritzdüsen arbeitet. Elegante Lösung: Die Triggerung der Zündanlage ist in die Schwungscheibe integriert. Der Zylinderkopf wurde umfassend angepasst und es hielt eine spezielle Turbo-Nockenwelle Einzug.

Wasser/Methanol-Einspritzung für Power und Haltbarkeit

Ebenfalls essenzieller Bestandteil des Turbo-Antriebs ist eine Wasser/Methanol-Einspritzung von Snow Performance, welche mittels der lastabhängigen Injektion eines Wasser/Alkohol-Gemischs als feinem Sprühnebel via einer Molekularzerstäuberdüse die Lade-/Ansaugluft effizient abkühlt und zugleich verdichtet. Die auf dem Prinzip der Verdunstungskälte basierende Wassereinspritzung erlaubt sogar die Abkühlung der Ladeluft unter die Umgebungstemperatur. Im Ergebnis können der Ladedruck bzw. der Zündzeitpunkt erhöht werden, ohne den Motor einer höheren thermischen Belastung auszusetzen, was der Haltbarkeit von Kolben und Auslassventilen zugutekommt. Hinter dem geschlitzten Frontblech sitzt ein Ölkühler. Apropos Öl: Dessen Leitungen bestehen ebenso aus Stahl, wie die Benzinleitungen, durch welche übrigens problemlos auch E10 laufen darf.
Erstaunlich leise tönt es aus der Abgasanlage mit großem Endtopf, welche sich an einen 200-Zellen-Katalysator mit großem Durchsatz anschließt. In diesem Zusammenhang überaus erstaunlich und beachtlich: Mit der Turboboxer-Aufladung erhalten die Fahrzeuge sogar eine grüne Umweltplakette, sodass die Turbo-Käfer beispielsweise problemlos in Innenstädten und Umweltzonen fahren dürfen, aus welchen man heutzutage bekanntlich sogar moderne Euro 5-Diesel aussperrt. Unterm Strich stehen bei dieser Ausbaustufe des Turbo-Typ 4 immerhin 216 PS und rund 390 Nm, welche bei einem moderaten Ladedruck von 0,9 bar generiert werden.

Probefahrt im Entwicklungsfahrzeug

Das ist beachtlich, aber noch längst nicht das Ende der Turbo-Fahnenstange. Im Rahmen einer Probefahrt mit Armins Kleins Turboboxer-Entwicklungsfahrzeug konnten wir den Charakter eines wilden Turbo-Käfers – im wahrsten Sinne des Wortes – „erfahren“. Während sich das Fahrzeug im unteren Drehzahlbereich sehr manierlich benimmt, für einen 2,2-Liter-Typ 4 dabei geradezu normal anfühlt, ändert sich dieses Bild, sobald man das Gaspedal gen Bodenblech drückt. Nach einer kurzen Turbo-Gedenksekunde springt der Käfer nach vorne, wie von der Tarantel gestochen: 400 PS und 500 Nm sorgen hier bei 1,7 bar Ladedruck für vehementen Vortrieb, sodass die Gänge überaus zackig durch die Gassen geworfen werden müssen, um nicht bei rund 6.000 Touren in den Begrenzer zu rennen. Schon im Rahmen eines kurzen Zwischensprints auf der Autobahn werden mühelos 180 übersprungen. Kein Wunder: Mit einem leicht zu errechnenden Leistungsgewicht von rund 2,4 kg/PS spielt dieses wilde Insekt in dieser Hinsicht in einer Liga mit Supersportwagen vom Schlage eines brandneuen Porsche 992 Turbo S (2,64 kg/PS). Unsicher fühlt man sich dabei wohlgemerkt nicht. Der 400-PS-Käfer bleibt auch bei vollem Druck gut kontrollierbar.

Adäquate Technik-Upgrades

Doch zurück zum gelben Käfer: Um dessen Kraft auch verlustarm und standfest in Vortrieb ummünzen zu können, erhielt das 4-Gang-Schaltgetriebe des 1303 diverse Verstärkungen sowie eine lange Welle. Aus einem vierten Gang mit 0,82 und einer Gesamtübersetzung von 3,44 resultiert eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 245 km/h bei 6.000 U/min. oder 182 km/h bei entspannten 4.500 U/min.
Den Kraftschluss stellt eine verstärkte 228-mm-Kupplung her, bevor eine Quaife-Differenzialsperre die breiten Hinterreifen bei ihrer Suche nach Grip unterstützt. Da die serienmäßigen Antriebswellen den dabei auftretenden Kräften zweifellos unterlegen wären, setzte Armin Klein hier auf Porsche 944-Wellen mit verstärkten 100-mm-Gleichlaufgelenken. Für eine gute Bodenhaftung der Räder ist ein in seiner Dämpfung einstellbares KW-Gewindefahrwerk an Bord. Eine Domstrebe bringt zusätzliche Steifigkeit in den Käfer-Vorderwagen. Um gegenüber dem unbändigen Vorwärtsdrang im Bedarfsfall auch eine adäquate Negativbeschleunigung aufbieten zu können, installierte Armin Klein an der Vorderachse eine 4-Kolben-Bremsanlage vom Porsche Boxster mit innenbelüfteten Scheiben. Hinten kommen Kerscher-Scheibenbremsen zum Einsatz.

Ziviles Cockpit

Im Unterschied zum mit allerlei Zusatzinstrumente und Schaltern sowie einem Überrollkäfig ausgerüsteten Turboboxer-Entwicklungsfahrzeug präsentiert sich das Cockpit des gelben 1303 erstaunlich zivil. Aus einem Recaro-Sportsitz hat der Fahrer Zugriff auf das vom Gelb-Schwarzen Renner (1303 S GSR) stammende Dreispeichen-Sportlenkrad. Während mittig vor ihm nur ein einzelner Tachometer aufragt, informieren Zusatzinstrumente über Öldruck und -temperatur sowie die Lambda-Werte. Darunter im Armaturenbrett: die Steuerung des Boost Controllers, mit ?welchem sich verschiedene Ladedruck-Setup einstellen lassen.

Technical Facts

VW 1303

Baujahr: 1973

Karosserie: Kerscher-Kunststoff-Kotflügel vorne und hinten Lackierung in Texasgelb

Motor: 2,0-Liter-Typ 4-Motor, Turbonetics-Turbolader (Sonderanfertigung), Ladeluftkühler mit zwei E-Lüftern, Kolbenbodenkühlung, Spezial-Turbo-Nockenwelle, Wiseco-Turbo-Kolben (94 mm), H-Schaft-Pleuel, Zylinderkopfanpassung, frei programmierbare DTA-Einspritzanlage mit Kennfeldzündung, 850cc-Einspritzdüsen, 50-mm-Einzeldrosselanlage von Jenvey, Boost Controller mit umschaltbaren Steuerungen, Wasser/Methanol-Einspritzung (Snow-Performance), Ölkühler hinter geschlitztem Frontblech, Benzin- und Ölleitungen in Stahl, Porsche-Style-Gebläse mit zentraler Anordnung (ohne Verteiler), Abgasanlage mit großem Endtopf und 200-Zellen-Katalysator mit großem Durchsatz (grüne Plakette), Abstimmung auf E10, 159 kW / 216 PS und 390 Nm bei ca. 0,9 bar Ladedruck

Kraftübertragung: 4-Gang-Schaltgetriebe, verstärkt mit langer Übersetzung (Gesamtübersetzung 3,44, 4. Gang 0,82), verstärkte 228-mm-Kupplung, Quaife-Differenzialsperre, Porsche 944-Antriebswellen mit verstärkten 100-mm-Gleichlaufgelenken

Fahrwerk: KW-Gewindefahrwerk, Domstrebe vorne

Rad/Reifen: ATS-Felgen in 7×15 und 9×15 Zoll, Bereifung in 205/50R15 und 225/50R15

Bremsen: VA 4-Kolben-Bremsanlage vom Porsche Boxster mit innenbel. Scheiben, HA Kerscher-Scheibenbremsen

Innenraum: Sportlenkrad vom Gelb-schwarzen Renner, Zusatzinstrumente für Öldruck und -temperatur, Lambda-Controller

Gewicht: 890 kg