Mercedes-Benz W116 450 SEL 6.9
15. Mai 1975: Der Mercedes 450 SEL 6.9 betritt die Bühne! Lange hatten gut betuchte Kaufinteressenten auf das Topmodell der schon knapp drei Jahr zuvor im September 1972 eingeführten S-Klasse-Baureihe W116 gewartet. Diese war damals, nach einhelliger Meinung der Fachjournalisten, „das beste Auto der Welt“. Aus strategischen Gründen – der Schock der Ölkrise saß tief – hatte Mercedes den „Sechsneuer“ allerdings zunächst zurückgehalten. Da die Nachfrage nach einem solchen Fahrzeug aber offenbar größer war, als man angenommen hatte, entschieden sich die Stuttgarter doch noch zur Serienproduktion, die im September 1975 anlief. Fortan wurden bis in den Mai 1980 insgesamt 7.380 Exemplare des 450 SEL 6.9 gefertigt und an Politiker, Wirtschaftslenker und Showgrößen ausgeliefert. Das nötige Kleingeld mussten Kaufinteressenten allerdings auf der Hohen Kante haben. Für den Preis eines Sechsneuners – rund 70.000 Deutsche Mark im Jahr 1975 – konnte man damals auch eine mittelgroße Eigentumswohnung in ansprechender Lage erwerben. Oder vier Mercedes 200-Limousinen der kleineren Strich-Acht-Baureihe W115 . Kein Wunder also, dass an den Wagen große Ansprüche gestellt wurden.
Der 450 SEL 6.9 befriedigte diese Ansprüche mit einer Vielzahl von technischen Highlights. An erster Stelle zu nennen wäre da natürlich der auf 6.834 Kubikzentimeter aufgebohrte M100-Achtzylindermotor aus der Staatskarosse Mercedes-Benz 600, der zudem mit einem neuen Einspritzsystem sowie einer Trockensumpfschmierung ausgerüstet worden war. Unter mächtigem Grollen und mit der Gewalt einer Rangierlokomotive beschleunigte der 286 PS und 550 Nm starke Hubraumriese die schwere Limousine in weniger als acht Sekunden auf 100 km/h und bis auf eine Höchstgeschwindigkeit von 225 Kilometer pro Stunde. Ein dreistufiges Automatikgetriebe reichte dazu aus, das gewaltige Drehmoment des V8-Motors besorgte den Rest. Als erstes deutsches Serienfahrzeug verfügte der 450 SEL 6.9 über eine Gasfederung mit hydraulischer Niveauregulierung, kurz Hydropneumatik. Den überlegenen Fahrkomfort dieser Federungstechnik kannte man bis dato nur vom französischen Citroen DS.
Abgebremst wird der Luxus-Liner von einer hydraulischen Zweikreis-Bremsanlage mit vier Scheibenbremsen und Servounterstützung. Ab 1979 war optional sogar erstmals ein Antiblockiersystem, eine Gemeinschaftsentwicklung von Bosch und Mercedes-Benz, bestellbar. Selbstverständlich war der 450 SEL 6.9 auch im Innenraum mit allen Komfort-Schikanen ausgerüstet, deren Aufzählung hier jeden Rahmen sprengen würde. Nicht unerwähnt soll jedoch das aufpreispflichtige Autotelefon bleiben. Es kostet rund 13.500 Mark – für so viel Geld gab es 1975 auch zwei VW Käfer.
Das schönste Exemplar eines Sechsneuners, welches uns hier in der Mercedes Tuner-Redaktion jemals unter die Augen kam, gehört Gunnar Veit aus Bergneustadt. Der 43-jährige Vertriebsmitarbeiter, dessen Mercedes-Klassiker-Fuhrpark unter anderem auch noch einen W109 300 SEL 3.5, einen W126 560 SEL und ein 124er 300 CE-24-Cabriolet umfasst , erwarb den W116 im Jahr 2011 bei einem auf Mercedes-Oldtimer spezialisierte Händler. Zustand damals: „nicht fahrbereit“. Seither investierte Gunnar offensichtlich nicht nur unzählige Arbeitsstunden, sondern auch eine nicht unerhebliche Summe von Euros in seinen herrschaftlichen Benz-Klassiker. Und das Ergebnis überzeugt auf der ganzen Linie: Nicht umsonst kürten wir den 1976er 450 SEL 6.9 im vergangenen September zum „Best of Show“-Fahrzeug unseres Mercedes Tuner-Days im Stöffel-Park.
Viele weitere tolle Neuigkeiten aus der Welt der Marke mit dem Stern bietet unser Magazin Mercedes Tuner.
Die aktuelle Ausgabe 2/25 ist ab dem 20.02.2025 im Zeitschriftenhandel verfügbar. Alternativ kann sie auch versandkostenfrei über unseren Webshop Tuning-Couture bestellt werden.
Im Zuge der Restaurierung spendierte Gunnar der Fünfmeter-Limousine einige Upgrades, die „das beste Auto der Welt“ optisch und technisch noch besser machen. So beschert der unter dem vertikal aufragenden Bug installierte AMG-Frontspoiler dem 116er einen deutlich sportlicheren Auftritt. Darüber hinaus blieb die umfassend restaurierte und im Originalfarbton Graublaumetallic komplett neu lackierte Karosserie aus Gründen der Originalität serienmäßig. Sämtliche Chromteile wurden – sofern noch zu bekommen – erneuert oder sonst aufwändig aufgearbeitet. Anstelle der nur 14-zölligen Serienräder drehen sich in den Radhäusern nun BBS RS-Mehrteiler, die mit 9×16 und 10×16 Zoll gleich zwei Nummern größer ausfallen. Aufmerksamen Beobachtern wird auffallen, dass Gunnar sich hinsichtlich der Farbgebung der Kreuzspeichen-Sterne nicht entscheiden konnte: So sind sie auf der rechten Fahrzeugseite nun in Gold, auf der linken Seite in Wagenfarbe ausgeführt.
Die Technik des hydropneumatischen Fahrwerks wurde von Gunnar nicht nur ebenfalls überholt, sondern mit Hilfe der bekannten Koryphäe „Dr. Q“ auch aufwändig modifiziert: Mittels zusätzlicher Leitungen und Ventile kann der Öldruck des Systems nun – ähnlich wie bei einem Luftfahrwerk – abgelassen werden. So lässt sich eine Airride-ähnliche Show-Tieferlegung im Stand erzielen. Wird der V8-Motor gestartet, läuft auch die daran verbaute Hydropneumatik-Pumpe wieder an und hebt die Limousine automatisch auf ein vorjustiertes Fahrniveau.
Der M100-Achtzylinder mit mechanischer Bosch K-Jetronic-Einspritzung wurde im Zuge einer umfassenden Überholung auch gleich mit Übermaßkolben versehen. Dazu konstruierte Gunnar für den Hubraumriesen einen doppelansaugenden, auf Hochglanz polierten Aluminium-Luftfilterkasten anstelle des Original aus Stahl mit nur einem Ansaugkanal. Passend zum hochglänzenden Look des Luftfilters zogen auch diverse weitere polierte, verchromte, lackierte oder gepulverter Teile in den Maschinenraum ein, der so im Endeffekt einen überaus appetitlichen Anblick bietet. Und: Wer tief einatmet, der muss auch kräftig ausatmen! Also wurde auch abgasseitig aufgerüstet: An maßangefertigte Fächerkrümmer schließt sich eine ebenfalls sonderangefertigte Gruppe A-Edelstahl-Abgasanlage an, aus deren in Originaloptik gehaltenen endrohren ein tieffrequentes und ehrfurchtgebietendes, dabei aber nicht aufdringliches V8-Grollen entweicht. Gunnar hat noch nicht nachgemessen, aber mit diesen Upgrades sollte der 6,9-Liter-V8 eigentlich auf mehr als 300 PS kommen. Für eine saubere, komfortable Kraftübertragung wurden parallel auch die Dreigang-Wandlerautomatik und das Differenzial mit Sperre umfassend revidiert.
Wie das Exterieur wurde auch der Fahrgastraum der S-Klasse penibel restauriert und dabei weitgehend im Serienzustand bewahrt. Während Tuning-Freunden sicher zuerst das hölzerne raid 4D-Lenkrad ins Auge fällt, werden W116-Kenner die „Aktualisierung“ in Form eines Armaturenbretts vom Facelift-Modell samt neuer Vinyl-Bespannung. Der verchromte Innenspiegel matcht perfekt zum Karosserie-Chrom. Während zum Zeitpunkt unseres Fotoshootings noch Velours-Sitze an Bord waren, zieht über den Winter gerade eine Lederausstattung mit vierfacher Sitzheizung ein.
Technical Facts
Mercedes-Benz W116 450 SEL 6.9
Baujahr: 1976
Karosserie: AMG-Frontspoiler, Neulackierung in Graublaumetallic (906) inkl. Motorraum etc., sämtliche Chromteile neu (sofern zu bekommen, sonst aufgearbeitet)
Motor: 6,9-Liter-V8-Motor (M 100), 2 obenliegende Nockenwellen, mechanische Bosch K-Jetronic-Einspritzung, Trockensumpfschmierung, Aluminium-Luftfilterkasten mit Doppelansaugung, diverse Motorteile poliert, verchromt, lackiert oder pulverbeschichtet, 286 PS bei 4.250 U/min / 550 Nm bei 3.000 U/min (Serienwerte)
Kraftübertragung: Dreigang-Automatikgetriebe mit hydraulischem Wandler
Fahrwerk: Doppel-Querlenker (vo.), Diagonal-Pendelachse + Schräglenker (hi.), modifizierte hydropneumatische Federung, Drehstab-Stabilisator, Niveau-Regulierung
Rad/Reifen: BBS RS-Felgen in 9×16 und 10×16 Zoll, Bereifung in 205/55R16 und 225/50R16
Bremse: hydraulische Zweikreis-Bremsanlage mit vier Scheibenbremsen und Servounterstützung
Innenraum: raid 4D-Holzlenkrad, Armaturenbrett auf Facelift-Version umgebaut mit neue Vinyl-Bespannung, Innenspiegel verchromt, Leseleuchten hinten nachgerüstet