VW 1600 L: Der mysteriöse Typ 3

VW 1600 L: Der mysteriöse Typ 3

Der mysteriöse Typ 3

Luftgekühlte VWs: da gibt es wohl kein Modell mehr, welches wir nicht schon kennen! Oder etwa doch? Der auf diesen Seiten gezeigte 1600 L dürfte selbst vielen versierten Mitgliedern der Lufti-Szene und WOB Klassik-Lesern unbekannt vorkommen. Schließlich wurde die Lufti-Limousine nur in sehr kleinen Stückzahlen in Brasilien gebaut, sodass er heute selbst in seiner Heimat eine Rarität ist. Vermutlich nur eine Handvoll Exemplare bahnten sich ihren Weg ins Ausland. Zu ihnen gehört die hier vorgestellte Limousine, die nun in Kalifornien zu Hause ist.

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Dass Brasilien hinsichtlich luftgekühlter VW eine ganz besondere Stellung innehat, ist freilich nicht unbekannt. Trotzdem oder gerade deswegen sind die Lufti-Modelle aus und die bis heute lebhafte VW-Szene in dem südamerikanischen Land für viele europäische Enthusiasten gewissermaßen ein Buch mit sieben Siegeln: „VW do Brasil“ wurde 1953 gegründet und schaffte es – sicherlich begünstigt durch die extreme Entfernung nach Deutschland – weitgehend unabhängig von Wolfsburg und der dortigen Unternehmensführung zu bleiben. Dies erklärt die Entstehung verschiedener einzigartiger Modelle wie des SP2 oder des Brasilia.

Gleich und doch anders

Der Name 1600 L hingegen ist hiesigen VW-Fans freilich ein Begriff, gab es den so bezeichneten Typ 3 doch auch bei uns. Und das 1969 eingeführte brasilianische Pendant ist natürlich prinzipiell ein ebensolcher Typ 3. Einer, der viele technische Komponenten aus dem globalen VW-Baukasten übernahm: So beispielsweise das 1.584-Kubik-Aggregat, das in Brasilien die einzige angebotene Motorisierung war, das Getriebe, das Fahrwerk und die Bremsen (vorne Scheiben, hinten Trommeln). Optisch jedoch zeichnet sich der Wagen durch einige einzigartige Merkmale aus: So etwa die Stoßstangen, das Design der Beleuchtungen vorne wie hinten und sogar die Form von Karosserieteilen. Und: Die Limousine hatte anders als die stets zweitürigen europäischen Typ 3 sogar vier Türen. Kein Wunder also, dass uns das gezeigte Fahrzeug ungewohnt vorkommt.

Mäßiger Erfolg

Die brasilianische VW-Kundschaft war damals geteilter Meinung, was sie von „ihrem“ 1600er halten sollte. Gerade das Design war umstritten. Die schärfsten Kritiker gaben dem VW die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Zé do Caixão“, im englischsprachigen Raum als „Coffin Joe“ bekannt. Dieser Name stammt von einem durch José Mojica Marins geschaffenen und gespielten fiktiven Charakter, einem Bestatter, und wurde auf den VW übertragen, da dessen recht kantige Form und seine vier Türgriffe einige Betrachter an einen Sarg erinnerten. Andererseits erhielten sowohl der große Kofferraum im Bug, der komfortable Innenraum und das für damalige Verhältnisse gute Fahrverhalten Lob. Alles in allem konnte die brasilianische Typ 3-Limousine – anders als etwa der Brasilia – dennoch nur wenige Käufer überzeugen. Daran änderte auch die zwischenzeitliche Überarbeitung mit unter anderem neuen Scheinwerfern nichts: In der etwa zweijährigen Bauzeit des viertürigen Stufenheck-Modells entstanden nur knapp 24.500 Stück.

Lufti-Fan durch und durch

Umso erstaunter waren wir, als wir den gezeigten Wagen am Strand von Kalifornien entdeckten. Dank eines im Fenster hängenden „Zu verkaufen“-Schilds war die Kontaktaufnahme zum Besitzer ein Kinderspiel: Schnell wählten wir die angegebene Nummer. Am anderen Ende meldete sich Kim Ridley, der kurz darauf bei uns war, um seinen damals gerade kürzlich erworbenen, brasilianischen 1600 L von 1969 zu präsentieren. Kim wuchs in den 1950er und 1960er Jahren in Kalifornien auf und pflegte einen fast schon klischeehaften Lifestyle mit Surfen, Hotrodding und Co. Zudem entwickelte er früh eine regelrechte Liebe zu VW, als er in den 60er VW-Racer auf den lokalen Dragstrips sah. 1973 kaufte sich Kim im Alter von 21 Jahren seinen ersten VW, einen 67er Käfer, den er letztlich in ein Dragracer verwandelte, mit dem er selbst auf den Strip ging. Es folgten viele weitere VWs, begünstigt dadurch, dass Kim im Gebrauchtwagengeschäft anfing. Insgesamt besaß er über die Zeit um die 100 Fahrzeuge. „Ich hatte neben meinen Alltagswagen immer sehr interessante Autos“, erinnert er sich: Die Bandbreite reichte von Käfern im Serien- und modifizierten Zustand über Bullis, Karmann Ghias und Typ 3 bis hin zu Buggys, Kit Cars mit VW-Motor und sogar anderen brasilianischen Raritäten mit Volkswagen-Aggregat wie Puma-Coupés.

Kontakt zum brasilianischen Vorbesitzer

Den brasilianischen 1600 L entdeckte Kim bei einer Auktion und ihm war sofort klar: Den MUSS ich haben! Es gab jedoch kaum Informationen zu dem Wagen. Doch auf ein Facebook-Posting mit einigen Bildern des Wagens folgte tatsächlich die Antwort: „Ich kann sagen, dass ich dieses Auto gebaut habe!“ Absender war der Brasilianer Relberth Silva, welcher in der Folge umfangreiche Auskünfte zu dem VW erteilen konnte. Darunter waren Details zu den diversen Komponenten, die er im Zuge des Umbaus installierte, nachdem er den Wagen seinerseits in unvollständigem, serienmäßigem Zustand gekauft hatte. Viele der brasilianischen Aftermarket-Teile sind dabei außerhalb des Landes gar nicht zu haben. Relberth baute den 1600 L gemeinsam mit Freunden und örtlichen Werkstätten im Grunde einmal komplett auseinander und wieder zusammen, wobei unter anderem die Bremsen, das Fahrwerk und der Kabelbaum erneuert wurden. Im gleichen Zuge erhielt der Wagen seine Tieferlegung mittels Modifikationen der Federteller und die runden Doppelscheinwerfer von einem 1970er 1600 L statt der ursprünglichen rechteckigen. „Einige der seltenen Teile zu finden, war der schwierigste Aspekt bei der Restaurierung“, erklärt Relberth.

Seltene Felgen & Co.

Auch in optischer Hinsicht zeichnet sich der Wagen durch einige Teile brasilianischer Herkunft aus, die außerhalb des Landes oftmals nicht einmal bekannt sind: So etwa das Lotse-Dreispeichen-Lenkrad, den schicken Racer-Shifter oder die Jalousie vor der Heckscheibe. Auch die montierten Alufelgen würde man weder an einem US- noch an einem europäischen Lufti-Umbau finden: Die sogenannten Raw Classics sind von den für den Porsche 914 optional angebotenen Pedrini-Rädern inspiriert. Die Räder messen 5,5×15 Zoll und sind mit 155/60er und 185/65er Reifen bezogen. Besonderheit im original erhaltenen Armaturenbrett ist das neben dem Tacho und der Tankfüllanzeige vorhandene, mit einer Blende versehenen Loch für eine weitere Armatur. Der 1,6-Liter-Motor verblieb übrigens im Serienzustand samt seiner brasilianischen Besonderheiten wie dem großen Luftfilter und dem flachen, keilriemengetriebenen Gebläse.

2021 gelangte der südamerikanische 1600 L in die USA, als Relberth ihn nach Florida verkaufte. Der dortige Besitzer behielt den VW nur wenige Monate, wonach Kim ihn erwarb. Gut ein Jahr ist seitdem vergangen, in dem der Kalifornier den VW gehegt und gepflegt sowie bei vielen Fahrten entlang der kalifornischen Pazifik-Küste genossen hat. Nun jedoch will er die Limousine weiterverkaufen. Wir sind gespannt, wohin es das seltene Schätzchen als Nächstes verschlägt …

Technical Facts

VW 1600 L

Baujahr: 1969

Karosserie: viertürige Karosserie, eigenständige Gestaltung des Brasilien-Typ 3 (Karosserieteile, Beleuchtungen etc.), runde Doppelscheinwerfer vom 1970er Modell nachgerüstet

Motor: 1,6-Liter-Vierzylinder-Boxermotor in brasilianischer Spezifikation, Solex H30IC-Fallstromvergaser, großer Luftfilter, flaches keilriemengetriebenes Gebläse, 50 PS

Fahrwerk: Fahrwerkskonfiguration vom Käfer mit Drehstabfedern und Pendelhinterachse, Tieferlegung mittels modifizierter Federteller

Rad/Reifen: Raw Classics-Felgen in 5,5×15 Zoll mit Roadking Argos Touring-Bereifungen in 155/60R15 und 185/65R15

Bremsen: VA Scheibenbremsen, HA Trommelbremsen

Innenraum: geschüsseltes Lotse-Dreispeichen-Lenkrad, Racer-Shifter