Ingolstädter Rallye-Legende

Motorsport, Audi Sport quattro S1 E2

Motorsport, Audi Sport quattro S1 E2

Fotos: Neil Fraser / Courtesy of RM Sotheby’s

Das Jahr 1982 ist für den Rallye-Motorsport ein wirklich denkwürdiges: Die FIA brachten die Regularien für die neuen Gruppe B-Fahrzeuge auf den Weg und damit brachen hinsichtlich der Ausgestaltung der Rennwagen gewissermaßen alle Dämme. Das Reglement gab den Hersteller umfangreiche Freiheiten, insbesondere bei der technischen, aber auch optischen Ausgestaltung der Autos. So begann ein regelrechtes Wettrüsten, das optisch martialisch auftretende und extrem leistungsstarke Autos hervorbrachte. Eines der zweifellos berühmtesten Paradebeispiele der Gruppe B ist der Audi Sport quattro S1 E2.

Insgesamt 20 Fahrzeuge diesen 1985 vorgestellten Typs fertigten die Ingolstädter, von denen heutzutage nur noch 15 existieren sollen. Unter diesen sind wiederum nur sechs, die tatsächlich an einem WRC-Wertungslauf teilgenommen haben und vier, die mittlerweile in privater Hand sind. Einer von diesen ist das mit der internen Bezeichnung RE 10 versehene Exemplar, das auf diesen Seiten zu sehen ist und im November 2022 durch das weltweit aktive und renommierte Auktionshaus RM Sotheby’s an einen neuen Besitzer versteigert wurde.

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Schwerer Start

Doch blicken wir zunächst allgemein auf Audis Rallye-Historie in den 80ern. Bei dem Wechsel des Basisfahrzeugs vom quattro auf den Sport quattro im Jahr 1984 war die erfolgreichste Zeit der Ingolstädter in der Weltmeisterschaft quasi schon vergangen. 1982 bis 1984 hatten sie zunächst den Konstrukteurs-, dann den Fahrer-Titel sowie im dritten Jahr das Double geholt. Man könnte es sogar fast so formulieren, dass der Schritt zum eigens konzipierten Sport quattro ein Stück weit Audis Fall von der Spitze einleitete. Schließlich hatten die Fahrer anfangs durchaus Probleme, die Kraft des ursprünglichen S1 zu kontrollieren und gewinnbringend in Ergebnisse umzumünzen: So soll Stig Blomqvist es in seiner Weltmeister-Saison 1984 nach der Präsentation des neuen Autos sogar so lange vermieden haben, dieses zu nutzen, bis sein Fahrertitel in trockenen Tüchern war. Der verkürzte Radstand in Verbindung mit der enormen Leistung des 2,1-Liter-Reihenfünfzylinder-Ottomotors und anfangs deutlicher Frontlastigkeit machten das Coupé schwer beherrschbar.

Umfangreich optimierter E2

Angesichts der ausgeprägten Kinderkrankheiten der ersten Rallye-Sport quattros machte sich Audi alsbald an die Weiterentwicklung und Optimierung. Ergebnis war der 1985 vorgestellte S1 E2. Der Fünfzylinder-Motor erreichte hier in Sachen Leistung mit etwa 530 bis 550 PS den Höhepunkt – und war damit nicht nur das stärkste Aggregat in Audis Rallye-Historie, sondern wohl von allen Gruppe B-Racern. Zu verdanken hat das Triebwerk seine beeindruckenden Bärenkräfte vor allem dem riesigen KKK-Turbolader: „Der Motor hat immer Ladedruck abgelassen und Explosionen in die Landschaft geknallt. Kein anderes Auto war so“, sagte Walter Röhrl, einer der S1-Fahrer. Der Sprint auf Tempo 100 gelang je nach Getriebe innerhalb von 3,1 (handgeschaltet) oder gar 2,6 Sekunden (Doppelkupplungsgetriebe). 160 km/h waren aus dem Stand in knapp neun Sekunden erreichbar und die Höchstgeschwindigkeit betrug etwa 220 km/h. Eine weitere entscheidende Verbesserung bei E2 war die optimierte Gewichtsverlagerung: Diverse schwere Komponenten wurden ins Heck verlegt so etwa die Kühler und Lüfter sowie teils sogar die Lichtmaschine. Dritter bemerkenswerter Charakterzug des E2 war sein mit minimal nur 1.100 Kilogramm sehr geringes Gewicht – ermöglicht durch die Tatsache, dass Audi die brachiale, im Windkanal aerodynamisch optimierte Widebody-Karosserie mit ihren riesigen Front- und Heckspoilern in weiten Teilen aus leichtem Carbon-Kevlar-Verbundwerkstoff fertigte. Einen weiteren Beitrag leistet das komplett leergeräumte Interieur. Es zeichnet sich natürlich durch eine reinrassige Rallye-Einrichtung mit unter anderem Recaro-Schalensitzen, Sabelt-Gurten, einem Momo-Sportlenkrad und einem Überrollkäfig aus.

RE 10-Einsatz endet im Ausfall

Der abgebildete S1 E2 mit der Kennung RE 10 war – wie eingangs erwähnt – tatsächlich im Rahmen der Rallye-Weltmeisterschaft im Einsatz: Diese Ehre kam ihm einmalig im November 1985 bei der 34. RAC Rally im Großbritannien zuteil. Nach einem eher suboptimalen Start und nur dem neunten Rang nach der ersten Wertungsprüfung kamen der finnische Fahrer Hannu Mikkola, Weltmeister von 1983, und sein schwedischer Co-Pilot Arnie Hertz immer besser in Schwung. So konnten sie sich mit Ende der 14. Wertungsprüfung an die Spitze setzen, und ließen sich von dort auch nicht mehr verdrängen – zumindest bis Motorprobleme RE 10 zur Aufgabe zwangen. Nochmals zum Einsatz kam das Fahrzeug im März 1986 im Rahmen von Test- und Trainingsfahrten für die Rallye Portugal. Infolge der Abschaffung der Gruppe B beziehungsweise des vorzeitigen Audi-Ausstiegs aus der Rallye-WM nach einem schweren Unfall im Jahr 1986 verkauften die Ingolstädter das Fahrzeug an den bekannten Sammler Michael Gabel, der das Rallye-Monster tatsächlich im Straßenverkehr fahren können wollte und zu diesem Zwecke einige Anpassungen vornehmen ließ – beispielsweise den Austausch der Kunststoff- durch Glasscheiben und die Installation einer Fly-off-Handbremse. 1998 ging es an Eckhard Homan über, der den Audi ebenso bei Demonstrations-Fahrten einsetzten wie der folgende Besitzer – kein geringerer als Armin Schwarz, ehemaliger Titelträger der deutschen und der europäischen Rallye-Meisterschaft.

Erstklassiger Zustand

Danach wurde das Leben noch entspannter für RE 10, denn ab 2012 war er Bestandteil von Autosammlungen, wobei er auch einmal von Grund auf komplett restauriert wurde. Entsprechend gut ist – ferner dank regelmäßiger fachkundiger Wartung und Instandhaltung durch die Rallye-Spezialisten von BGMsport – der heutige Zustand des Sport quattro S1 E2. Zweifellos ein weiterer Grund für den enormen Preis, den das außergewöhnliche Fahrzeug bei der RM Sotheby’s-Versteigerung vor etwa einem halben Jahr in London erzielte: Satte 1,805 Millionen Pfund investierte der Käufer für Audis Rallye-Legende!

Technical Facts

Audi Sport quattro S1 E2

Baujahr: 1985

Karosserie: Aerodynamik-Widebody-Karosseriekit aus Carbon-Kevlar-Verbundwerkstoff, Frontspoiler-Ansatz, sechs Zusatzleuchten an der Front, Breitbau-Kotflügel, aerodynamische Motorsport-Außenspiegel, Heckflügel

Motor: 2,1-Liter-Reihenfünfzylinder-Ottomotor mit KKK-Turboaufladung, diverse Elemente wie Kühler sowie Lichtmaschine und Batterie im Kofferraum, ca. 530-550 PS

Kraftübertragung: Fünfgang-Handschaltgetriebe, quattro-Allradantrieb

Fahrwerk: McPherson-Federbeine, zusätzliche Schubstreben

Rad/Reifen: Speedline-Leichtmetallfelgen in 15 Zoll mit Pirelli-Bereifung

Bremsen: Scheibenbremsanlagen mit ca. 300-mm-Scheiben

Innenraum: komplett leergeräumt, Momo-Sportlenkrad, Recaro-Rennschalensitze, Sabelt-Sechs-Punkt-Gurt für Fahrer, Sabelt-Vier-Punkt-Gurt für Co-Pilot, Überrollkäfig, Armaturenbrett mit VDO-Rundinstrumenten und diversen Bedienelementen