Wiederbelebung einer schwedischen Legende

Volvo P1800 Cyan von Cyan Racing

Wer an Coupés und Sportwagen der 1960er Jahre denkt, dem kommen wohl zumeist Legenden wie Porsche 911, Ferrari 250 GTO, Lamborghini Miura, Aston Martin DB5, Ford Mustang, Jaguar E-Type, Mercedes SL „Padoge“ oder auch – etwas bodenständiger – der Opel GT in den Sinn. In Vergessenheit gerät unterdessen wohl zumeist ein weiteres Meisterwerk – zu Unrecht, schließlich ist der Schwede ebenfalls eine wahre Ikone: der bis zu 124 PS starke Volvo P1800.

Er war nicht nur ab 1971 als kombiartige Version mit Zunamen ES erhältlich, die aufgrund ihrer Glas-Heckklappe als „Schneewittchensarg“ einen festen Platz in den Geschichtsbüchern hat, sondern zudem als Coupé, das bereits zehn Jahre zuvor startete. Genau dieser Zweitürer feiert nun ein spektakuläres Comeback. Zu verdanken ist dies dem Team von Cyan Racing, welches offizieller Motorsport-Partner des chinesischen Geeley-Konzerns ist und vormals – zunächst unter den Namen Flash Engineering und später Polestar Racing – als offizielles Werks-Rennteam des (mittlerweile zu Geeley gehörenden) schwedischen Herstellers Volvo fungierte. Seit der Gründung 1996 feierte Cyan Racing regelmäßig Erfolge im Tourenwagen-Motorsport in Form von Fahrer- oder Team-Meisterschaften, insbesondere im schwedischen Landeswettbewerb, zuletzt aber auch mehrere Titel in internationalen Serien. Während beim jüngsten Erfolg, der Team-Meisterschaft in der WTCR 2019 das Basisfahrzeug erstmals kein Volvo mehr war, sondern der Lynk & Co 03, bedeutete vor allem das Jahr 2017 einen Meilenstein für Cyan, als erstmals international die Krone errungen wurde – und dann gleich für den besten Fahrer und das beste Team. An diesem Punkt beschloss Inhaber Christian Dahl, eine Brücke zur Vergangenheit zu schlagen und eine Vision dessen zu erschaffen, wie der Straßenableger eines Cyan-Tourenwagens auf Basis des P1800 in den 60ern hätte aussehen können.

Dezent modernisierter Look

Diesen Ansatz des Transfers vom Motorsport auf die Straße ist nicht neu, denn schon zuvor hatte Cyan respektive damals noch Polestar Racing entsprechende Prototypen der damaligen Tourenwagen auf Basis von Volvo C30 und S60 realisiert und dies im vergangenen Jahr mit dem Lynk & Co 03 wiederholt – letzteren stellten wir übrigens in der Eurotuner-Ausgabe 3-19 genauer vor. Als Grundstein für das neue Projekt diente ursprüngliche ein P1800 aus dem Baujahr 1964, doch von diesem ist bis auf die grundsätzliche Optik kaum mehr etwas übrig geblieben – und selbst diese entwickelte Cyan behutsam weiter. So ist die dank einer festen Stahl-Grundkonstruktion und Dreiecks-Verstrebungen an neuralgischen Punkten versteifte Karosserie nun nicht nur zu weiten Teilen aus Carbon gefertigt, was einen entscheidenden Beitrag zum extrem niedrigen Leergewicht von nur 990 Kilogramm beiträgt. Zudem geriet sie breiter und stämmiger als bisher. So schuf Cyan Platz für eine weitere Spur und größere Felgen – unter den Kotflügeln sitzen Zentralverschluss-Schmiederäder in 8,5×18 und 9,5×18 Zoll mit Hochleistungsbereifung in 235/40 ZR18 sowie 265/35 ZR18.

Kraftvoller Vierzylinder-Turbo

Unter dem Blech blieb gleichfalls kaum etwas beim Alten: Im Bug sitzt ein leistungsstarker Zweiliter-Vierzylinder, bei dem es sich prinzipiell um das gleiche Aggregat handelt wie im Volvo S60 TC1-Meisterauto von 2017. Der Motor generiert dank Aufladung mittels eines BorgWarner EFR-Turbos und bis zu 2,7 Bar Ladedruck satte 420 PS und 455 Nm und ist für Drehzahlen von bis zu 7.700 Umdrehungen ausgelegt. Trotz der Zwangsbeatmung soll das Triebwerk dabei eine homogene Kraftentfaltung wie bei einem freisaugenden Motor besitzen. Zur Kraftübertragung stehen ein manuelles Fünfgang-Getriebe von Holinger in Kombination mit einer organischen Kupplung, einer Carbon-Antriebswelle und einer Differentialsperre an der Hinterachse bereit. Das modernisierte Fahrwerk, welches sich durch Einzelrad-Aufhängung sowie Doppelquerlenker mit Aluminium-Achsschenkeln, zweifach verstellbare Dämpfer und Stabilisatoren vorne wie hinten auszeichnet, erlaubt eine individuelle Einstellung von Sturz und Spur. „Wir sind sehr zufrieden mit dem Griplevel und der Fahrpräzision, die wir durch die Kombination des Chassis und einer Lenkung mit guter Rückmeldung erreicht haben“, erklärt Thed Björk, 2017 Tourenwagen-Meister im Cyan-S60 und Entwicklungsfahrer für den P1800. Trotz des somit deutlich zeitgemäßeren Fahrverhaltens, zu dem ferner die Bremsanlagen mit Vier-Kolben-Sätteln auf großen Scheiben beitragen, war es dem Team zugleich wichtig, ein möglichst puristisches und unverfälschtes Erlebnis zu bieten – ganz so, wie es in den 60er Jahren war. Helferlein wie ABS, ESP und einen Bremskraftverstärker sucht man dementsprechend vergebens: „Im Volvo P1800 Cyan geht es darum, alles wegzurationalisieren, was die direkte Verbindung zwischen Fahrer, den Reifen und der Straße stört“, erklärt Mattias Evensson, Projektmanager und Chefingenieur von Cyan.

Streng limitierte Kleinserie

Während über die Ausstattung und Optik des Interieurs zunächst recht wenig bekannt war, hat Cyan nun mittlerweile auch einige Bilder des Innenraums nachgeschoben: Das Cockpit zeigt eine stimmige Mischung aus klassischen Elementen wie den Rundinstrumenten im Retro-Look, sowie modernen Racing-Merkmalen wie Sportlenkrad und Hosenträger-Gurten aus dem Hause MOMO. Letztere sind mit stark ausgeformten Sport-Schalensitzen kombiniert und als ihr hinterer Befestigungspunkt dient der für noch mehr Karosseriesteifigkeit und Sicherheit sorgende Titan-Überrollbügel im Fond. Übrigens: Der Wagen ist keineswegs ein reines Concept Car, das ein Einzelstück bleibt, sondern Cyan Racing wird tatsächlich noch 2020 mit dem Bau einer streng limitierten Kleinserie beginnen! Zur Stückzahl und den Kosten gibt es noch keine genauen Angaben, gerüchteweise soll der Grundpreis für das Restomod-Coupé aber bei um die 425.000 Euro liegen …

Weitere Informationen unter:

www.cyanracing.com

Fazit: Retro ist cool und liegt absolut im Trend – und das schon seit Jahren. Dies zeigt sich nicht zuletzt deutlich im Automobilbereich mit Fahrzeugen, die ihre historischen Vorgänger zitieren, etwa dem Mustang oder dem Mini, sowie auch anhand des aktuellen Restomod-Trends. Mit seiner P1800-Interpretation hat das Team von Cyan Racing wohl zweifellos eines der beeindruckendsten und begehrenswertesten Restomod-Modelle realisiert, die der Markt zu bieten hat. Top-moderne Technik mit unter anderem einem 420-PS-Turbomotor in einer extrem leichten und dezent modernisierten Hülle eines 60er Jahre-Klassiker aus Schweden, das kann schnell Begehrlichkeiten wecken. Doch nur die wenigsten Interessenten werden diese wohl auch befriedigen können …

Technical Facts

Volvo P1800 Cyan

Motor: Reihenvierzylinder-Ottomotor, Direkteinspritzung, BorgWarner EFR-Turbolader mit keramischer Kugellagerung und Turbinenrad aus Titanalumid, bis zu 2,7 Bar Ladedruck, Edelstahl-Abgasanlage, doppelter Katalysator

Hubraum: 2.000 ccm

Leistung: 308 kW / 420 PS bei 7.000 U/min.

max. Drehmoment: 455 Nm bei 6.000 U/min.

Kraftübertragung: manuelles 5-Gang-Synchrongetriebe von Holinger, Einmassen-Schwungscheibe aus Stahl, organische 200-mm-Kupplung, Carbon-Antriebswelle, Differentialsperre mit einstellbarer Übersetzung

Fahrwerk: Einzelradaufhängung mit Doppelquerlenkern, Aluminium-Achsschenkel, zweifach einstellbare Dämpfer, Spur und Sturz einstellbar, Stabilisatoren vorne und hinten (Härte hinten verstellbar)

Rad/Reifen: Cyan Racing-Schmiedefelgen in 8,5×18 Zoll und 9,5×18 Zoll, Zentralverschluss, Pirelli P Zero-Bereifung in 235/40 ZR18 und 265/35 ZR18

Bremsen: 4-Kolben-Sättel von AP Racing auf VA 362-mm-Scheiben und HA 330-mm-Scheiben, kein Bremskraftverstärker, kein ABS

Karosserie: hochfeste Karosserie aus Stahl und Carbon

Innenraum: Titan-Überrollkäfig, Sport-Schalensitze, Momo-Hosenträgergurte

Sonstiges: 990 kg Leergewicht, Gewichtsverteilung 47:53, Zahnstangenlenkung mit einstellbarer Übersetzung