Audi Coupé S2: 1.495 PS im Dragracing-Youngtimer

1.495 PS im Dragracing-Youngtimer

Bei dem Wettbewerben der RACE 1000-Serie treten regelmäßig die stärksten und schnellsten Boliden gegeneinander an, um ihre Sprintfähigkeiten bei Dragraces über die 1/2-Meilen-Distanz miteinander zu messen: Hier kämpfen nachträglich mit Biturbo-Aufladungen aufgerüstete Lamborghinis gegen ultrastarke Nissan GT-R und hochgezüchtete Porsche 911 Turbos gegen Mercedes-AMG-Dampfhämmer. Boliden also, die auch im „normalen“ Straßenverkehr die Blicke kleiner und großer Jungs auf sich ziehen würden und bereits im Stand schreien: „Ich bin schnell!“ Von ganz anderem Schlag ist das hier abgebildete Audi Coupé S2 von Hakan Halis. Dieses fällt – trotz des gewaltigen Ladeluftkühlers in seiner Frontstoßstange  – wohl nur ausgewiesenen Performance-Experten ins Auge. Doch das brave Äußere trügt: Beim RACE 1000 gehört der aus dem Baujahr 1994 stammende Youngtimer zu den schnellsten Autos im Paddock!

Lassen wir an dieser Stelle doch gleich ein paar Zahlen sprechen. Unfassbare 1.495 PS bei 9.100 U/min und 1.154 Nm bei 7.300 U/min treffen hier auf ein  rennfertiges Leergewicht von nur 1.230 Kilogramm, was ein verstörendes Leistungsgewicht von 0,82 kg/PS bedeutet. Zum Vergleich: Ein aktueller Audi R8 V10 plus 5.2 FSI schleppt mit 2,67 kg/PS mehr als dreimal so viele Pfunde pro Pferdestärke mit sich herum. Das Ergebnis: Wenn Hakan seinen Audi, an dem der 42-jährige Industriefachwirt übrigens schon seit rund 14 Jahren tüftelt und optimiert, über den 1/2-Meilen-Dragstrip jagt, dann fällt die 100-km/h-Marke nach 3,8 Sekunden. Die mehrstufige Launch Control erlaubt nahezu Wheelsspin-freies Anfahren bei einer Startdrehzahl von rund 5.200 U/min und einem herrschenden Ladedruck von nur 0,4 Bar. Dass Grip in diesen Momenten trotz der den Radschlupf begrenzenden Launch Control der limitierende Faktor ist, liegt auf der Hand, beschleunigt der radikal fürs Dragracing optimierte Youngtimer doch ab jetzt nicht langsamer, sondern vielmehr immer schneller.

Knapp 330 km/h nach 804 Metern – und dann kommt noch ein Gang!

Nach insgesamt (!) 6,7 Sekunden erreicht er 200 km/h, bevor Hakan bei rund 220 km/h den vierten Gang einlegt, nach weniger als zehn Sekunden auf halber Strecke bei rund 280 km/h auf die fünfte Welle wechselt und – bei guten Bedingungen – nach 804 Metern und 14,8 Sekunden mit mehr als 328 km/h die Ziellinie überfährt. Bei 9.000 U/min im fünften Gang und seinem vollen Ladedruck von 3,2 bis 3,4 Bar erreicht der S2 rund 345 km/h – und dann steht noch der sechste Gang zur Verfügung, welcher theoretisch bis ca. 380 km/h reicht. Bis dato war Hakan allerdings noch nicht wahnsinnig genug, seine Höchstgeschwindigkeit tatsächlich zu „erfahren“.

VR6-3.2 R32-Turbomotor

Quell der Kraft ist der unter einer GFK-Motorhaube installierte Turbomotor, dessen Basis ursprünglich als VR6-3.2 R32-Sauger in einem Audi A3-Maschinenraum Dienst tat. Viel mit seinem 250 PS starken Ursprungszustand hat das Triebwerk in seiner heutigen Ausbaustufe nicht mehr gemein. Nach einer Neu-Bohrung und -Hohnung des Motorblocks sowie des Einzugs von sonderangefertigten JE-Kolben auf verstärkten Pauter-Pleueln ergibt sich eine leichte Hubraumvergrößerung auf knapp 3,3 Liter. Um für die wirkenden Kräfte gerüstet zu sein, wurden die Motorblock-Hauptlagerdecke mit einer Versteifungsplatte sowie der Zylinderkopf mittels eines speziellen Laserschweißverfahrens verstärkt. Auch die Zylinderkopfdichtung sowie die -schrauben wurden durch belastbarere Komponenten ersetzt. Im Inneren des Kopfs rotieren maf-map-Nockenwellen in einer speziell für Hakans auf Performance-Umbauten spezialisierte Firma Hamon Motors konstruierten und gefertigten Ausführung. Der größte „Druckmacher“ unter der Motorhaube aber ist – und das ist durchaus wörtlich zu nehmen – natürlich der gewaltige BorgWarner AirWerks SX400-Turbolader mit 82-mm-Inducer, welcher via eines Hamon Motors-Edelstahl-Twinscroll-Abgaskrümmers mit T4-Flansch und zwei Turbosmart-38-Millimeter-Wastegates sowie armdicker Aluminium-Druckverrohrung angebunden wurde. Zusätzlich
ist ein 50er Tial-Bypass-Ventil im Einsatz. Die Effizienz des Laders optimiert der in eine vom großen Bruder Audi RS2 stammende Frontschürze integrierte XXL-Ladeluftkühler von BOOST products mit einer Fläche von 600×300 Millimetern. Wenn die 90-Millimeter-Drosselklappe auf „Durchzug“ stellt, giert der Turbomotor durch seine 130-mm-Ansaugung mit 127-mm-Luftmassenmesser und ein Hamon Motors-Saugrohr nach Sauerstoff. Einen von vorne nach hinten führenden Auspuff, wie er in den meisten Autos üblich ist, sucht man an Hakans Audi allerdings vergeblich: Das dicke 100-Millimeter-Ofenrohr der Abgasanlage mit V-Band-Anschluss tritt – ähnlich dem Schlot einer Dampflokomotive – geradewegs senkrecht nach oben aus der Motorhaube aus. Dass der bärenstarke Turbomotor im Dragracing-Einsatz kurzzeitig einen enormen Benzindurst entwickelt, liegt auf der Hand. Um den Schluckspecht zu befriedigen, konstruierte Hamon Motors eigens ein Kraftstoffversorgungssystem mit vier Pierburg E3L-Benzinpumpen, welche als Quartett theoretisch mehr als 1.000 Liter des hochoktanigen Rennsprits aus dem im Fahrzeugheck installierten 22-Liter-Sicherheitstank nach vorne fördern, wo eine maf-map-Engineering ECU481-Einspritzanlage ihn via sechser Bosch Motorsport-1.680-ccm-Einspritzdüsen in die Brennkammern injiziert. Um nochmals Zahlen zu nennen: Während der knapp 15 Sekunden eines 1/2-Meilen-Laufs verfeuert Hakan knapp fünf Liter 117-oktanigen Rennsprits, was hochgerechnet einem Verbrauch von rund 600 Litern pro 100 km entspricht.

Erstaunlich: konventionelle H-Schaltung

Während seine Kontrahenten im Regelfall mit sequenziellen oder Doppelkupplungsgetrieben unterwegs sind, vertraut Hakan in seinem Audi-Youngtimer weiterhin auf ein konventionelles 6-Gang-Schaltgetriebe mit H-Schaltschema. Dessen Übersetzungen wurden selbstverständlich an den Einsatzzweck des Coupés angepasst, während eine 2-Scheiben-Sintermetallkupplung mit modifiziertem Stahlschwungrad aus dem Hause Tilton auch angesichts der martialischen Motorkräfte einen sauberen Kraftschluss herstellt. Fangbänder sichern die unter dem Fahrzeug rotierende Kardanwelle, damit diese im Fall des Falles nicht zum unkontrollierten Geschoss wird.
Ebenso unspektakulär wie seine Karosserie sind die Räder des Drag-Audis: Auf 8×18-zölligen BBS-Felgen fährt Hakan Toyo Proxes R888-Semislicks, deren Dimensionen mit 235/40R18 rundum nicht übermäßig breit ausfallen. Auch „echte“ Slicks haben sich nicht als förderlich erwiesen, sind sie doch vor und während der nur wenige Sekunden dauernden Dragraces praktisch nicht auf ihre optimale Betriebstemperatur zu bringen, sodass ihr Gripniveau unter dem straßenzugelassener Semislicks rangiert. Aufgehängt sind die Räder an einem H&R-Gewindefahrwerk mit geänderter Federkennung, welches das Coupé in Kombination mit einem ganzen Arsenal von PU-Fahrwerksbuchsen bei hohen Geschwindigkeiten „halbwegs“ auf Kurs hält. Um den Audi auch aus Geschwindigkeiten weit jenseits der 300 km/h wieder sicher verzögern zu können, rüstete Hakan ihn an der Vorderachse mit einer – durchaus zeitgenössischen – Bremsanlage eines Porsche 993 Turbo aus, welche ihre 322-Millimeter-Scheiben mit standfesten 4-Kolben-Sätteln in die Zange nimmt. Hinten reicht die OEM-Bremstechnik aus.

Nahezu vollständiges Audi-Cockpit

Erstaunlich serienmäßig erscheint für einen derart auf Dragracing zugeschnittenen Rennwagen auch der Fahrgastraum: Zumindest in der ersten Reihe geht es hier durchaus „komfortabel“ zu. Zwar fixieren sich Hakan und – außerhalb von Wettbewerbsläufen – sein Beifahrer mit Schroth-Gurten in den leichtgewichtigen Carbon-Schalensitzen eines Porsche 911 GT3, wo sie von einem grauen Wiechers-Überrollkäfig sicher umschlossen werden. Dafür aber sind sowohl das Armaturenbrett als auch die Türverkleidungen nahezu vollständig erhalten. Auf dem Fahrzeugboden wurde bis zu den hinteren Domen feuerfester Filz verlegt – dahinter regiert nacktes bzw. in Wagenfarbe lackiertes Blech. Die Heck- sowie die hinteren Seitenscheiben wurden durch Makrolon ersetzt, was ebenfalls
einige Kilogramm Gewicht einspart. Durch das geschüsselte OMP-Lenkrad blickt Hakan nicht mehr auf die klassischen Audi-Rundinstrumente der 1990er Jahre, sondern auf ein seine Daten direkt vom Motorsteuergerät beziehendes Race Technology-LCD-Dashboard. Mehr ein Gag als ein genutztes Accessoire ist hingegen ganz offensichtlich das CD-Radio, welches auf Wunsch sogar Musik aus den Lautsprechersystemen des Audis erschallen lässt.

AUDI COUPÉ S2

Baujahr: 1994

Motor: Motorswap auf VR6-3.2 R32-Ottomotor aus Audi A3 3.2, Motorblock neu gebohrt und gehohnt, JE-Kolben (Sonderausführung Hamon Motors für Verdichtung 8,8:1, Berechnungen maf-map-engineering), verstärkte Pauter-Pleuel, Motorblock-Hauptlagerdeckel aus Sonderstahl verstärkt mit Versteifungsplatte, Zylinderkopf verstärkt durch Laserschweißverfahren, maf-map-Nockenwellen in Hamon Motors-Ausführung mit Nockenwellenverstellern, verstärkte Ventilfedern mit Titan-Federtellern, Zylinderkopfdichtung und -schrauben verstärkt, Hamon Motors-Edelstahl-Twinscroll-Abgaskrümmer mit T4-Flansch und Turbosmart-38-mm-Wastegates, BorgWarner AirWerks SX400-Turbolader mit 82-mm-Inducer, Aluminium-Druckverrohrung 76/90 mm, 50-mm-Tial-Wastegate, BOOST products-Ladeluftkühler 600x300x120 mm, Hamon Motors-Saugrohr, 90-mm-Drosselklappe, 130-mm-Frischluft-Ansaugung mit 127-mm-Luftmassenmesser, Abgasanlage mit V-Band-Anschluss 1x 100 mm senkrecht durch die Motorhaube, Hamon Motors-Tanksystem mit 22-Liter-Sicherheitstank und vier Pierburg E3L-Benzinpumpen, maf-map-Engineering ECU481-Einspritzanlage und -Benzinpumpensteuerung, Bosch Motorsport-1.680-ccm/3-bar-Einspritzdüsen, Bosch Motorsport-Benzindruckregler, Fuelab-Kraftstofffilter, Dash10-Benzinleitungen mit Teflonseele, Vollaluminium-Wasserkühler von Hamon Motors, Edelstahl-Drehmomentstütze, 22-Ah-Batterie

Hubraum: ca. 3,3 Liter

Leistung: 1.099 kW / 1.495 PS bei 9.100 U/min

Max. Drehmoment: 1.154 Nm bei 7.300 U/min

Max. Ladedruck: 3,2-3,4 Bar

Kraftübertragung: 6-Gang-Schaltgetriebe mit geänderter Übersetzung, 2-Scheiben-Tilton-Sintermetallkupplung mit modifiziertem Stahlschwungrad, Kardanwellen-Fangband vorne und hinten

Vmax: theoretisch 380 km/h (345 km/h bei 9.000 U/min im 5. Gang)

Gewicht: 1.230 kg

Fahwerk: H&R-Gewindefahrwerk mit geänderter Federkennung, PU-Fahrwerksbuchsen, Front-Aggregateträger und Heckdifferenzialaufhängung verstärkt

Rad/Reifen: 2-teilige BBS-Felgen in 8×18 Zoll, Toyo Proxes R888-Semislicks in 235/40R18

Bremsen: VA 4-Kolben-Bremsanlage mit 322-mm-Scheiben und geänderten Belägen vom Porsche 993 Turbo, HA Serie

Karosserie: modifizierte RS2-Stoßstange mit großer Öffnung und seitlichen Schnellverschlüssen vorne, modifizierte S2-Stoßstange hinten, GFK-Motorhaube mit Öffnung für Auspuff, Eigenbau-Schlossträger mit Hauben-Schnellverschlüssen, RS2-Seitenspiegel,
Lackierung in Ibisweiß

Innenraum: Wiechers-Überrollkäfig, Schalensitze vom Porsche 911 GT3, Schroth-Sicherheitsgurte, Rückbank deinstalliert, Innenraum mit feuerfesten Filz ausgekleidet, Fahrzeug-Fond und Kofferraum ausgeräumt, Makrolon-Heckscheiben und -Seitenscheiben
hinten, Race Technology-LCD-Dashboard mit Anbindung an Motorsteuergerät, geschüsseltes OMP-Lenkrad, Schalter für Launch Control

Multimedia: CD-Radio mit 16er Lautsprechersystemen

Sonstiges: Zentralelektronik neu konstruiert (Fensterheber, Heizung, Scheibenwischer, Beleuchtung etc. funktionsfähig), Startsicherung mit USB-Dongle, Motorstart über Taster